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Bild, Urbild & Co.: Die visuelle Anleitung, die in jeder Vorlesung fehlt

Definitionsmenge, Wertemenge, Bild, Urbild, strenges Bild – endlich verstehen statt auswendig lernen. Mit interaktiven Visualisierungen.

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Warum scheitern so viele an Bildern und Urbildern?

In der Analysis und Diskreten Mathe stolpern Studierende über Begriffe, die eigentlich simpel sind:

  • Was ist der Unterschied zwischen Wertemenge und Bildmenge?
  • Warum kann das Urbild mehrere Elemente haben?
  • Was bedeutet "strenges Bild" überhaupt?
📝

Das Kernproblem

Die meisten Vorlesungen werfen Definitionen auf die Tafel, ohne zu zeigen, was diese Begriffe bedeuten. Hier bekommst du visuelle Klarheit – mit interaktiven Diagrammen.


Die Grundlagen: Was ist eine Funktion?

Eine Funktion f:ABf: A \to B ist eine Zuordnung, die jedem Element aus AA genau ein Element aus BB zuordnet.

Beispiel: Funktion f: A → B

Jedes Element aus A wird auf genau ein Element aus B abgebildet

A (Definitionsmenge)B (Wertemenge)123abcd

Funktionen als spezielle Relationen

Eine Funktion ist eigentlich eine Relation fA×Bf \subseteq A \times B mit zwei besonderen Eigenschaften:

1. Linkstotal (total / defined everywhere)

Jedes Element der Definitionsmenge hat ein Bild.

aA:bB:(a,b)f\forall a \in A: \exists b \in B: (a,b) \in f

  • Bedeutung: Keine "Lücken" – jedes Element links hat mindestens einen Pfeil
  • Im Diagramm: Jedes Element auf der linken Seite hat einen ausgehenden Pfeil
  • Intuitiv: Die Funktion ist überall definiert

2. Rechtseindeutig (functional / well-defined)

Jedes Element der Definitionsmenge hat höchstens ein Bild.

aA,b1,b2B:(a,b1)f(a,b2)f    b1=b2\forall a \in A, b_1, b_2 \in B: (a,b_1) \in f \land (a,b_2) \in f \implies b_1 = b_2

  • Bedeutung: Keine Verzweigungen – jedes Element links hat höchstens einen Pfeil
  • Im Diagramm: Von jedem Element auf der linken Seite geht maximal ein Pfeil aus
  • Intuitiv: Die Funktion ist eindeutig bestimmt
💡

Funktion = Linkstotal + Rechtseindeutig

Linkstotal + Rechtseindeutig = Funktion

  • Linkstotal: Jedes Element links (Definitionsmenge) hat mindestens einen Pfeil
  • Rechtseindeutig: Jedes Element links hat höchstens einen Pfeil
  • Zusammen: Jedes Element links hat genau einen Pfeil → Funktion!

Beispiele: Was ist eine Funktion, was nicht?

✓ Linkstotal + Rechtseindeutig = Funktion

Jedes Element hat genau einen Pfeil → Funktion ✓

AB123abc

✗ Nicht linkstotal (Element 2 hat keinen Pfeil)

Element 2 hat keinen Pfeil → KEINE Funktion (nicht linkstotal)

AB123ab

✗ Nicht rechtseindeutig (Element 1 hat zwei Pfeile)

Element 1 hat zwei Pfeile → KEINE Funktion (nicht rechtseindeutig)

AB12abc
💡

Abgrenzung: Links vs. Rechts

Linkstotal & Rechtseindeutig beschreiben die Definitionsseite (links):

  • Linkstotal: Jedes Element links hat einen Pfeil
  • Rechtseindeutig: Jedes Element links hat höchstens einen Pfeil

Surjektiv & Injektiv beschreiben die Werteseite (rechts):

  • Surjektiv: Jedes Element rechts wird getroffen
  • Injektiv: Jedes Element rechts wird höchstens einmal getroffen

Diese Konzepte ergänzen sich – sie betrachten verschiedene Aspekte der Funktion!


Die drei Mengen im Überblick

1. Definitionsmenge (Domain) – Die Eingabemenge

Die Definitionsmenge AA (auch dom(f)\text{dom}(f) oder DfD_f) ist die Menge aller Eingabewerte, für die die Funktion definiert ist.

  • Beispiel: Bei f:{1,2,3}{a,b,c,d}f: \{1,2,3\} \to \{a,b,c,d\} ist die Definitionsmenge {1,2,3}\{1,2,3\}
  • Im Diagramm: Alle Elemente auf der linken Seite
  • Wichtig: Jedes Element der Definitionsmenge muss ein Bild haben (linkstotal)

2. Wertemenge (Codomain) – Die Zielmenge

Die Wertemenge BB ist die Menge, in die abgebildet wird. Sie gibt an, welche Werte theoretisch als Funktionswerte möglich sind.

  • Beispiel: Bei f:{1,2,3}{a,b,c,d}f: \{1,2,3\} \to \{a,b,c,d\} ist die Wertemenge {a,b,c,d}\{a,b,c,d\}
  • Im Diagramm: Alle Elemente auf der rechten Seite
  • Wichtig: Die Wertemenge kann größer sein als die Menge der tatsächlich erreichten Werte

3. Bildmenge (Image/Range) – Die erreichten Werte

Die Bildmenge f(A)f(A) (auch Im(f)\text{Im}(f)) ist die Menge der Werte, die tatsächlich als Funktionswerte auftreten.

  • Beispiel: Wenn f(1)=a,f(2)=b,f(3)=bf(1)=a, f(2)=b, f(3)=b, dann ist f(A)={a,b}f(A) = \{a,b\} (nicht {a,b,c,d}\{a,b,c,d\}!)
  • Im Diagramm: Nur die Elemente rechts, die mindestens einen Pfeil erhalten
  • Wichtig: Es gilt immer f(A)Bf(A) \subseteq B (Bildmenge ist Teilmenge der Wertemenge)
⚠️

Häufigster Fehler

Wertemenge ≠ Bildmenge!

Die Wertemenge BB ist die Zielmenge – was theoretisch erreicht werden könnte.

Die Bildmenge f(A)f(A) ist die Menge der Werte, die tatsächlich erreicht werden.

Im Beispiel oben: B={a,b,c,d}B = \{a,b,c,d\}, aber f(A)={a,b}f(A) = \{a,b\} – das Element dd wird nie getroffen!


Bild einer Teilmenge

Das Bild einer Teilmenge MAM \subseteq A ist die Menge aller Werte, auf die Elemente aus MM abgebildet werden:

f(M)={f(x)xM}={yBxM:f(x)=y}f(M) = \{f(x) \mid x \in M\} = \{y \in B \mid \exists x \in M: f(x) = y\}

Bild der Teilmenge M = {1, 3}

f({1,3}) = {a,b} — Die Menge der Werte, auf die {1,3} abgebildet wird

AB123abcd

Wichtig: Auch wenn 1a1 \to a und 3b3 \to b, ist f({1,3})={a,b}f(\{1,3\}) = \{a,b\} – es werden beide Zielelemente gesammelt!


Urbild einer Teilmenge

Das Urbild einer Teilmenge NBN \subseteq B ist die Menge aller Elemente, die auf NN abgebildet werden:

f1(N)={xAf(x)N}f^{-1}(N) = \{x \in A \mid f(x) \in N\}

Urbild der Teilmenge N = {b}

f⁻¹({b}) = {2,3} — Alle Elemente, die auf b abgebildet werden

AB123abcd
💡

Urbild kann leer oder mehrelementig sein

  • Leer: Wenn kein Element auf NN abbildet. Beispiel: f1({d})=f^{-1}(\{d\}) = \emptyset
  • Mehrelementig: Wenn mehrere Elemente dasselbe Ziel haben. Beispiel: f1({b})={2,3}f^{-1}(\{b\}) = \{2,3\}
  • f1f^{-1} ist KEINE Umkehrfunktion! Es ist nur eine Notation für das Urbild.

Strenges Bild vs. normales Bild

Das strenge Bild (oder Restriktion) einer Teilmenge betrachtet nur die Funktionswerte innerhalb der Zielmenge:

f(M)Nf(M) \cap N

Strenges Bild: f(M) ∩ N mit M={1,2}, N={a,c}

f({1,2}) = {a,b}, aber f({1,2}) ∩ {a,c} = {a}

AB123abcd

Unterschied:

  • Normales Bild: f({1,2})={a,b}f(\{1,2\}) = \{a,b\}
  • Strenges Bild mit N={a,c}N=\{a,c\}: f({1,2}){a,c}={a}f(\{1,2\}) \cap \{a,c\} = \{a\}

Das strenge Bild filtert nur die Werte, die sowohl im Bild als auch in NN liegen.


Interaktives Beispiel: Erkunde selbst!

Interaktive Funktion: Klicke auf Elemente!

Klicke auf ein Element links → sieh das Bild. Klicke rechts → sieh das Urbild!

Definitionsmenge AWertemenge Bx₁x₂x₃x₄y₁y₂y₃

💡 Klicke auf Elemente, um Bild und Urbild zu sehen

Probier es aus:

  • Klick auf x2x_2 (links): Bild ist {y2}\{y_2\}
  • Klick auf y2y_2 (rechts): Urbild ist {x2,x3}\{x_2, x_3\} – beide bilden auf y2y_2 ab!

Die wichtigsten Eigenschaften von Bild und Urbild

Rechenregeln für Bild und Urbild

1
Bild von Vereinigungen

f(M₁ ∪ M₂) = f(M₁) ∪ f(M₂). Das Bild einer Vereinigung ist die Vereinigung der Bilder.

2
Urbild von Vereinigungen

f⁻¹(N₁ ∪ N₂) = f⁻¹(N₁) ∪ f⁻¹(N₂). Gilt auch für Urbilder!

3
Urbild von Schnitten

f⁻¹(N₁ ∩ N₂) = f⁻¹(N₁) ∩ f⁻¹(N₂). Urbilder vertragen sich gut mit Schnitten.

4
Bild von Schnitten — ACHTUNG!

f(M₁ ∩ M₂) ⊆ f(M₁) ∩ f(M₂), aber nicht immer Gleichheit! Nur bei injektiven Funktionen.

Typischer Klausurfehler

FALSCH: f(M1M2)=f(M1)f(M2)f(M_1 \cap M_2) = f(M_1) \cap f(M_2)

RICHTIG: f(M1M2)f(M1)f(M2)f(M_1 \cap M_2) \subseteq f(M_1) \cap f(M_2)

Gegenbeispiel: f(x)=x2f(x) = x^2, M1={1}M_1 = \{-1\}, M2={1}M_2 = \{1\}

  • M1M2=    f(M1M2)=M_1 \cap M_2 = \emptyset \implies f(M_1 \cap M_2) = \emptyset
  • f(M1)={1}f(M_1) = \{1\}, f(M2)={1}    f(M1)f(M2)={1}f(M_2) = \{1\} \implies f(M_1) \cap f(M_2) = \{1\}

Nicht gleich! ❌


Injektiv, Surjektiv, Bijektiv – visuell

Injektiv (eineindeutig)

Verschiedene Eingaben → verschiedene Ausgaben. Keine zwei Pfeile treffen dasselbe Ziel.

x1,x2A:f(x1)=f(x2)    x1=x2\forall x_1, x_2 \in A: f(x_1) = f(x_2) \implies x_1 = x_2

Injektive Funktion

Jedes Zielelement wird maximal einmal getroffen → injektiv ✓

AB123abcd

Surjektiv (onto)

Jedes Element der Wertemenge wird getroffen. Bildmenge = Wertemenge.

yB:xA:f(x)=y\forall y \in B: \exists x \in A: f(x) = y

Surjektive Funktion

Jedes Element aus B wird mindestens einmal getroffen → surjektiv ✓

AB1234abc

Bijektiv (eineindeutig und onto)

Injektiv und surjektiv. Perfekte Paarung – jede Eingabe hat genau eine Ausgabe, jede Ausgabe genau eine Eingabe.

Bijektive Funktion

Perfekte 1:1-Zuordnung → bijektiv ✓ (injektiv + surjektiv)

AB123abc

Bijektiv = Umkehrbar

Nur bijektive Funktionen haben eine echte Umkehrfunktion f1f^{-1}!

Bei injektiven Funktionen: Urbild ist eindeutig (höchstens ein Element). Bei surjektiven Funktionen: Urbild ist nie leer (mindestens ein Element). Bei bijektiven Funktionen: Urbild ist immer genau ein Element → Umkehrfunktion existiert!


Zusammenfassung: Die wichtigsten Begriffe

Mengen einer Funktion

  • Definitionsmenge AA: Alle Eingabewerte, für die ff definiert ist
  • Wertemenge BB: Die Zielmenge, in die abgebildet wird
  • Bildmenge f(A)f(A): Die tatsächlich erreichten Werte (Teilmenge von BB)

Bild und Urbild

  • Bild f(M)f(M): Wohin werden die Elemente aus MAM \subseteq A abgebildet?

    • f(M)={f(x)xM}f(M) = \{f(x) \mid x \in M\}
    • "Was kommt raus?"
  • Urbild f1(N)f^{-1}(N): Welche Elemente bilden auf NBN \subseteq B ab?

    • f1(N)={xAf(x)N}f^{-1}(N) = \{x \in A \mid f(x) \in N\}
    • "Was geht rein?"
    • Wichtig: f1f^{-1} ist hier nur Notation, nicht die Umkehrfunktion!
  • Strenges Bild: f(M)Nf(M) \cap N – zusätzlich auf NN gefiltert

Funktionseigenschaften

Definitionsseite (links):

  • Linkstotal: Jedes Element aus AA hat ein Bild
  • Rechtseindeutig: Jedes Element aus AA hat höchstens ein Bild
  • → Funktion: Linkstotal + Rechtseindeutig

Werteseite (rechts):

  • Injektiv: Verschiedene Eingaben → verschiedene Ausgaben
  • Surjektiv: Jedes Element aus BB wird getroffen (f(A)=Bf(A) = B)
  • Bijektiv: Injektiv + Surjektiv → Umkehrfunktion existiert

Praktische Tipps für die Klausur

So löst du Bild/Urbild-Aufgaben in 3 Schritten

1
Zeichne das Diagramm

Links Definitionsmenge, rechts Wertemenge, Pfeile für die Zuordnung. Visualisierung ist der Schlüssel!

2
Markiere die fragliche Teilmenge

Bild gesucht? Markiere Quellmenge links. Urbild gesucht? Markiere Zielmenge rechts.

3
Folge den Pfeilen

Bild: Folge Pfeilen nach rechts, sammle Ziele. Urbild: Folge Pfeilen rückwärts, sammle Quellen.

Pro-Tipp

Verwechsle nie: f1(N)f^{-1}(N) (Urbild, immer definiert) mit der Umkehrfunktion f1f^{-1} (nur bei bijektiven Funktionen).

Die Notation ist verwirrend, aber: Urbild ≠ Umkehrfunktion!


Key Takeaways

  • Definitionsmenge: Alle Eingaben (AA)
  • Wertemenge: Alle möglichen Ausgaben (BB)
  • Bildmenge: Alle tatsächlich erreichten Ausgaben (f(A)Bf(A) \subseteq B)
  • Bild f(M)f(M): Wohin werden Elemente aus MM abgebildet?
  • Urbild f1(N)f^{-1}(N): Welche Elemente bilden auf NN ab?
  • Strenges Bild: f(M)Nf(M) \cap N – zusätzlich gefiltert
  • Injektiv: Verschiedene Eingaben → verschiedene Ausgaben
  • Surjektiv: Bildmenge = Wertemenge (alles wird getroffen)
  • Bijektiv: Injektiv + Surjektiv → Umkehrfunktion existiert
📝

Nächste Lesson

Äquivalenzrelationen und Partitionen – wie Relationen Mengen in disjunkte Klassen aufteilen.

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